Aktuell.
Alles im Blick.
Dr. med. Oliver Niesse
Herr Dr. Niesse betreibt seit Mai 2020 gemeinsam mit zwei Kollegen eine Praxis für Kinderkardiologie in Zürich. Kinder liegen ihm am Herzen. Im nachstehenden Interview erzählt er uns, wie er die Vorbereitungs- und Aufbauphase erlebt hat und wie sich die Selbstständigkeit mit der Familien vereinbaren lässt.
Sie führen seit zwei Jahren mit zwei Kollegen die Kinderkardiologiepraxis «Kinderherzen». Welche positiven und negativen Erfahrungen durften Sie in dieser Zeit machen?
Positiv ist auf jeden Fall das selbstbestimmte Arbeiten. Medizinische Entscheidungen, aber auch Entscheidungen, ob zum Beispiel eine Investition getätigt werden kann/soll, können viel schneller getroffen werden. Gesamthaft ist deutlich weniger Politik im Spiel und die Entscheidungswege sind wesentlich kürzer als in einem grossen Spital. Die richtige Entscheidung war in jedem Fall, den Schritt in die Selbstständigkeit mit zwei Kollegen aus dem Spital zu machen, mit denen ich sowohl fachlich als auch menschlich auf einer Wellenlänge bin. Ebenso wichtig war, dass wir von Anfang an mit einem erfahrenen Partner zusammengearbeitet haben. Ohne Frau Tamazian von FEDERER & PARTNERS wären wir wohl heute noch nicht da, wo wir sind. Bei den negativen Erfahrungen muss ich tatsächlich überlegen. Wirklich negative Erfahrungen haben wir nicht gemacht, aber der Praxisumbau innerhalb eines denkmalgeschützten Gebäudes hat schon ein paar Nerven gekostet. Weil die Räume und die Lage für uns aber sehr stimmen, würden wir es wahrscheinlich dennoch wieder so machen.
Wie unterscheidet sich Ihr Berufsalltag als Praxisinhaber von Ihren vorgängigen Tätigkeiten?
Ich war davor lange in der Neonatologie/Intensivmedizin und Kardiologie an einem grossen Zentrum tätig. Im Vergleich dazu ist bei uns vieles sehr gut planbar. Auf der anderen Seite liegt ein Reiz am Spital gerade daran, dass die Krankheiten oftmals akuter sind. Ich war zum Beispiel viel für herzoperierte Kinder auf der IPS zuständig. Schön an der Arbeit im Spital ist durchaus, dass man jeden Tag automatisch unglaublich viele Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen sowie fachlichen und menschlichen Input von vielen Seiten hat. Was ambulante Patienten angeht, gibt es keinen grossen Unterschied zwischen dem Spital und unserer Praxis, ausser dass wir in der Praxis flexibler sind und wir tatsächlich «unsere» Patienten betreuen. Das ist persönlicher und die gefühlte Verantwortung ist nochmals grösser und direkter als in der Klinik. Ein grosser Punkt, mit dem ich im Spital nur wenig zu tun hatte, ist sicher die wirtschaftliche Seite. Wenn unsere Leistungen nicht abgerechnet werden, fehlt das Geld am Ende des Monats, weil die Fixkosten natürlich bestehen. Das merken wir unmittelbarer als ein Spital, weil wir viel kleiner sind.
Bei Ihrer Praxis handelt es sich um ein hochspezialisiertes Fachgebiet. War es schwierig, dafür geeignetes Praxispersonal zu finden?
Nicht sehr. Wir haben in der Corona-Hochphase angefangen und daher lief es langsam an. Über eine persönliche Empfehlung haben wir von Anfang an eine sehr gute MPA gefunden und wurden zu Beginn auch durch eine Studentin unterstützt, die aufgrund der Pandemie flexibel Zeit hatte. Zudem konnten wir inzwischen auch kinderkardiologisch sehr erfahrene Pflegefachfrauen gewinnen, mit denen wir schon vorher im Spital zusammengearbeitet haben.
Welche Erfahrungen haben Sie beim Rollenwechsel vom Angestellten zum Vorgesetzten gesammelt?
Fachlich war ich vorher auch in vielen Bereichen eigenverantwortlich oder habe es zumindest so empfunden. Im Spital ist man zudem auch für Assistenzärzte und deren Tun verantwortlich. Die grösste Veränderung ist hier wiederum die wirtschaftliche und organisatorische. Wenn die Praxis schlecht organisiert ist, Patienten oder Zuweiser nicht zurückgerufen werden oder aber die Berichte aus dem Praxissystem nicht versendet werden wegen eines IT-Problems etc., dann ist das unmittelbar mein Problem und meine Zuständigkeit. Da kommt dann auch niemand aus der Buchhaltung, aus dem Sekretariat oder aus der IT-Abteilung; gibt es alles nicht. Ich kann mich auch nicht darauf berufen, dass es «von oben» schlecht organisiert ist – wenn etwas organisatorisch schlecht laufen würde, müssten wir drei Ärzte uns diesen Schuh anziehen bzw. dafür sorgen, dass das abgestellt wird.
Wie meistern Sie die Herausforderung, die eigene Praxis und Ihre Familie unter einen Hut zu bringen?
Meine Frau ist ebenfalls selbstständig, kann aber einen grossen Teil ihrer Arbeit zeitlich und örtlich flexibel gestalten, solange das Internet gut funktioniert. Bei unserer Praxis ist es auch so, dass wir alles, was nicht direkt am Patienten passiert, von überall machen können. Alle Daten und Untersuchungen sind für uns von extern zugänglich. Also können wir zum Beispiel untereinander Befunde anschauen/besprechen, auch wenn wir an verschiedenen Orten sind. Wenn ich an zwei Tagen in der Woche zu Hause für die Kinder zuständig bin, läuft hier gleichzeitig viel Praxisadministration, E-Mails, Berichte, aber zum Beispiel auch die Auswertung von 24-Stunden-EKGs. Oftmals auch am Wochenende, wenn ich als Erster aufstehe. In «normalen» Wochen arbeite ich zwei Tage zu Hause, meine Frau drei. In den Phasen, in denen meine Frau teilweise über mehrere Tage im Ausland ist, geht allerdings oftmals nichts ohne die Grosseltern.
Hat sich die Vereinbarkeit von Job und Familie durch die Selbstständigkeit verändert? Und wie?
Ja, auf jeden Fall. Das hängt zum einen damit zusammen, dass ich nur drei Tage in der Praxis bin. Zum anderen sind wir in der Praxis viel flexibler und können auch mal einen Tag tauschen und uns vertreten, wenn es anders nicht geht. Nach fast zwanzig Jahren im Spital ist in der Praxis auch nicht mehr die Frage, ob man an Weihnachten oder Neujahr arbeiten muss – das ist natürlich sehr familienfreundlich.
Was würden Sie heute bei der Realisation der eigenen Praxis anders machen?
Ich glaube, dafür sind wir noch nicht lange genug im Geschäft, um das zu überblicken. Eine praktische, einfache Sache: Platz für eine Waschmaschine in der Praxis einplanen!
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Ach, Erfolg – das mag ich nicht beurteilen. Wir sind zu dritt, verstehen uns gut und haben von Anfang an gesagt, dass wir alle in der Praxis ungefähr gleich viel arbeiten wollen. Damit haben wir auch festgelegt, dass wir die neuen Patientenzuweisungen paritätisch verteilen. Es soll für alle stimmen und keinen wirtschaftlichen Ärger untereinander geben. Das klang anfangs für manche Banker gewöhnungsbedürftig, glaube ich. Aber für uns war von Beginn an klar, dass wir den Service und die Qualität, die uns vorschwebte, nur zusammen gewährleisten können. Der wichtigste Punkt ist für uns die bestmögliche medizinische Qualität der ambulanten kinderkardiologischen Versorgung und die unkomplizierte Kommunikation mit niedergelassenen Kinderärzten. Das ist in der Praxis viel einfacher und persönlicher als in der Poliklinik eines grossen Spitals. Der Rest kommt dann von selbst. So ist jedenfalls unser Eindruck.
Was würden Sie Ihren Kollegen, die den Schritt in die Selbstständigkeit noch vor sich haben, mit auf den Weg geben?
Ich fühle mich da nicht als jemand, der Ratschläge geben kann. Bei uns ist alles noch sehr frisch. Wenn man, wie wir, wirtschaftlich nicht vorgebildet oder sehr interessiert ist, halte ich eine Beratung von Anfang an für sehr hilfreich – zumindest war das bei uns so. Und man sollte sich von Beginn weg fragen, ob man gerne im Team arbeitet oder sich auch vorstellen kann, in der Praxis als «Alleinunterhalter» zu arbeiten. Ich überblicke das nur für Kinderärzte ein bisschen – da gibt es nach meiner Einschätzung viele wie uns, die sich nicht vorstellen können, als Arzt in einer Einzelpraxis zu arbeiten. Wenn man sich mit mehreren Kollegen selbstständig macht, verteilen sich nicht nur die administrativen Arbeiten, sondern auch die Kosten auf mehrere Schultern. Ausserdem können wir schwierige Patientenfälle immer problemlos zu zweit oder zu dritt besprechen. Für mich war und ist das der richtige Weg.
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